PROJEKTREPORTAGE

50Hertz, Berlin

LOVE architecture, Berlin / Graz

Stadtbaustein in Berlins Europacity

  • Autor: Klaus Rathje
  • Fotos: HG Esch Photography, Tamara Frisch, Jasmin Schuller, Werner Huthmacher

Kaum ein Bürogebäude hat in letzter Zeit so viel Aufmerksamkeit erregt wie die Firmenzentrale von 50Hertz in Berlin. Der Stromnetzbetreiber für Nord- und Ostdeutschland residiert gleich gegenüber dem Hauptbahnhof in einer markanten Konstruktion, die mit einem außenliegenden weißen Verbundtragwerk und durchgehender Glasfassade die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Dass sich in diesem Gebäude alles um Strom dreht, lässt sich sogar nachts beobachten: Das 50Hertz-Netzquartier, ein L-förmiger weißer Bau mit 13 Stockwerken, wird illuminiert, sobald es draußen dunkel ist. Dann beschreiben einige der schrägen Stahlstreben eine stilisierte Sinuskurve – die grafische Darstellung von Wechselstrom. 50Hertz hat sich somit eine Art Lichtskulptur geschaffen und fügt sich bestens ein in die kunstvolle Nachbarschaft. Denn gleich nebenan steht das Museum Hamburger Bahnhof, mit dem sich eine Kooperation ergab: Im Foyer von 50Hertz dürfen junge Künstler ausstellen. Nur einen Steinwurf entfernt liegt der Berliner Hauptbahnhof, dessen Schienen ebenfalls als Inspiration dienten für die Fassade, aber auch die stählernen Konstruktionen aus dem Industriezeitalter des historischen Berlin. Das äußere Dia-Grid schlägt somit eine Brücke in die Vergangenheit, in eine Zeit, als das Viertel um den Bahnhof noch nicht werbewirksam „Europacity“ hieß.

„Wir haben eine technische Struktur in die Fassade eingearbeitet, die sich auf die ursprÜnglich industrielle Umgebung bezieht.“

Andreas Perchinig, LOVE achitecture, Berlin / Graz

Nicht umsonst gewann das Grazer Büro LOVE architecture and urbanism gleich die höchste Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, den DGNB-Diamanten. Der Verband würdigt damit die „ganzheitliche Nachhaltigkeit“ des 50Hertz-Gebäudes, die den Aspekt miteinschließt, dass „die Nutzer ein Gebäude akzeptieren, was eine unmittelbare Auswirkung auf die Langlebigkeit, die Marktfähigkeit und den Werterhalt eines Gebäudes hat“. Die aktuell 650 Mitarbeiter von 50Hertz können dies nur unterstreichen, schließlich durften sie in den drei Jahren vor dem Einzug darüber mitbestimmen, wie die einzelnen Etagen aufgeteilt werden. Grundsätzlich ging es den Geschäftsführern darum, eine informelle Arbeitskultur zu schaffen, die dialogorientierter ist. So konnten die Mitarbeiter sich über verschiedene Arbeitskreise mit Ideen und Vorschlägen dafür einbringen, wie Teamarbeitsplätze aussehen sollen und welche Aspekte noch nötig sind, damit ein angenehmes Arbeitsklima entsteht.

Die mit Beton gefüllten Stahlstreben liefern Stabilität von außen.

So existieren auf der siebten Etage Duschen und Spinde, um das Fahrradfahren zum Büro zu fördern, in einem Raum finden Yoga-Kurse statt und die oberste Etage lässt sich komplett vom Meetingraum-Stockwerk zum Ein-Raum-Loft umwandeln, um so jederzeit eine firmeneigene Eventfläche greifbar zu haben. Dass die  Innenraumgestaltung so flexibel sein konnte, ist wiederum den äußeren Stahl-Verbundstützen zu verdanken, die statisch voll wirksam sind, sodass auf Stützpfeiler im Innern verzichtet werden konnte.

Lageplan Europacity: Gleich neben dem Museum Hamburger Bahnhof liegt die 50Hertz-Zentrale (dunkelgraue Fläche).

„Das außenliegende Verbundtragwerk macht das Haus zu einem echten Unikat in der Stadt der Lochfassaden.“

Andreas Perchinig, LOVE achitecture, Berlin / Graz

 

Nur drei innenliegende orangefarbene Kerne braucht es noch für die Gebäudestabilität, hierin befinden sich die Erschließung und die Haustechnikräume. Das Berliner Büro Kinzo übernahm die Innenraumgestaltung der Netzwerkflächen, Kaffee-Inseln und Rückzugsräume. Wer mal Ruhe braucht von seinem Team, kann schnell in eine Sofaecke flüchten oder eine schalldichte „Einzelzelle“ mit Sessel und Beistelltisch aufsuchen. Bei 50Hertz existieren ohnehin keine Festnetztelefone mehr, alle Mitarbeiter kommunizieren via Skype – das bringt deutlich mehr Bewegungsfreiheit mit sich. Gerade im Sommer bedeutet dies, dass die Terrassen, die sich auf jeder Etage befinden, nicht nur für die Kaffeepause da sind, sondern als gleichwertige alternative Arbeitsflächen dienen. Nicht nur das WLAN reicht in den letzten Winkel, sondern auch der Strom. Zwischen den Bänken stehen kleine Mediensäulen, die Laptops auch im Außenbereich mit Energie versorgen.

50Hertz hat mit diesem Bau eine dialogorientierte Arbeitsatmosphäre gewonnen, worin sich der Vorbild-Charakter des Unternehmens widerspiegelt. Schließlich gilt der Wirkungskreis des Berliner Übertragungsnetzbetreibers als Modellregion in Deutschland, denn 50Hertz agiert Tag für Tag mit fast 50 Prozent Strom aus alternativen Energieträgern. Fachbesucher kommen regelmäßig vorbei, um sich die bombensicher gebaute Ersatzleitwarte im Erdgeschoss  anzuschauen. Durch Panzerglas lassen sich die Stromleitungen auf einem großen Bildschirm an der Wand beobachten. Sollte die Hauptleitwarte in Neuenhagen bei Berlin ausfallen oder wegen Wartungsmaßnahmen nicht nutzbar sein, dann kommt diese Ausweichzentrale zum Einsatz.

Neben dem offenen Café entstand so ein Hochsicherheitstrakt, der sich dennoch in die gesamte Ebene einfügt, ohne zu massig zu wirken. Die kleinen Gäste, die sich tagsüber ebenfalls im Erdgeschoss befinden, interessiert das eher weniger. Hier spielen unter der Woche zehn bis 15 Kinder von Mitarbeitern in der Firmenkita namens „Energiebündel“.

Architekten

LOVE architecture and urbanism ZT GmbH
Schönhauser Allee 6–7
10119 Berlin
www.love-home.com

LOVE architecture & urbanism wurde 1997 in Graz (A) gegründet und wird von drei Partnern geführt: Bernhard Schönherr, Mark Jenewein und Herwig Kleinhapl. Seit seiner Gründung beschäftigt sich das Team intensiv damit, intelligente und innovative Lösungen für architektonische und städtebauliche  Aufgabenstellungen zu entwickeln und umzusetzen. Bislang plante und realisierte das Büro Projekte in Österreich, Japan, USA, Südkorea und Deutschland, gewann eine Vielzahl von nationalen und internationalen Wettbewerben, wurde mehrfach mit Architektur- und Kunstpreisen ausgezeichnet (u. a. „Best Architects“- und „Häuser des Jahres“-Awards, Energy-Globe-Award, Iconic-Award), nahm an diversen Ausstellungen teil (z. B. Biennale Venedig, Biennale Moskau, Triennale Bukarest, Architekturgalerie Berlin) und wurde zahlreich international in der Fachpresse publiziert.

Projekte

2017 Wilder Mann, Graz
2015 Shopping Arena, Salzburg
2014 Kanzlei Scherbaum Seebacher, Graz
2013 Wohnhaus Ragnitzstraße, Graz
2005 Villa S2, Klosterneuburg

Produktinformationen

Essence E Infrarot-Elektronik für Waschtisch: Mit ihrem auf die Grundform des Zylinders konzentrierten Design ist Essence E ein eleganter Blickfang in den Sanitärräumen des Bürogebäudes. Gleichzeitig überzeugt die berührungslose Armatur mit hoher Nutzerfreundlichkeit und Nachhaltigkeit

www.grohe.de

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